Evolution aus der Retorte: Die Auferstehung des Neandertalers?

Neandertaler

Graphik: Ezra Tsegaye

Sendedaten:

11.04.2010, 16.00 Uhr
29.03.2010, 21.30 Uhr

Neandertaler und Menschen konkurrierten um Ressourcen bei der Jagd auf Pferd, Wisent und Mammut. Den Jahrtausende andauernden Kampf um das tägliche Überleben hat der Mensch gewonnen. Unser nächster Verwandter und auch das Mammut sind schon lange ausgestorben.

Eine Forschungsreise in die Vergangenheit
Neandertaler – die ersten Europäer

Die Neandertaler-Höhle von El Sidrón ist eine bedeutende archäologische Fundstelle. Im Nordosten Spaniens lebte und starb vor etwa 50.000 Jahren eine Gruppe von Neandertalern. Die Arbeiten der Archäologen in der Höhle sind schwierig, denn der Höhlenzugang ist die Hälfte des Jahres überflutet.

1700 Knochenfragmente von Neandertalern wurden hier schon geborgen. Aus vielen Puzzleteilen ergibt sich den Wissenschaftlern langsam ein erstes Bild: Die Höhle von El Sidrón war vor tausenden von Jahren Schauplatz eines prähistorischen Massenmordes.

Wer aber war dieser mysteriöse Verwandte des Menschen wirklich? Wie sah er aus? Konnte er sprechen wie wir? Wie hat er die Welt wahrgenommen? Vieles liegt noch im Dunkeln verborgen. Doch mit immer neuen Methoden versucht die Wissenschaft mehr über die Neandertaler herauszufinden.

Klassische Paläoanthropologie stößt an Grenzen

Im Naturkunde Museum von Madrid werden die Funde aus El Sidrón untersucht. Antonio Rosas und seine Kollegen analysieren hier jeden Knochensplitter. Sie wollen wissen, wer diese Neandertaler, diese ersten Europäer, waren. Und warum sie in dieser Höhle gestorben sind.

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Antonio Rosas, Naturkundemuseum, Madrid:

„Wir haben mindestens neun Individuen identifiziert und Schnittspuren auf den Knochen gefunden, die auf Kannibalismus hindeuten. Die Neandertaler aus El Sidrón wurden von anderen Neandertalern aufgegessen. Die Knochen und der Schädel wurden mit Steinwerkzeugen aufgebrochen, um an das Mark und das Gehirn zu kommen, das sehr nahrhaft ist.“

Die klassische Paläoanthropologie stößt mittlerweile mit ihren Versuchen, das Verhalten der Neandertaler aufzuklären, an ihre Grenzen. Neandertaler haben uns im Gegensatz zum modernen prähistorischen Menschen kaum kulturelle Artefakte hinterlassen. Die Antworten auf das Rätsel ihres Untergangs stecken tatsächlich in ihren Knochen und in den Erbmolekülen, die sich daraus noch gewinnen lassen.

Die 50.000 Jahre alten Opfer der Kannibalen aus der Höhle von El Sidrón sind heute Teil eines außergewöhnlichen wissenschaftlichen Projekts. Aus den alten Knochen der getöteten Neandertaler wollen Forscher aus Leipzig die gesamten Erbinformationen isolieren.

Unsere nächsten Verwandten

Am Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie arbeiten Forscher aus der ganzen Welt. Ihr Ziel: Das Rätsel der Evolution des Menschen zu lösen.

Die Paläoanthropologie ist eine relativ junge Wissenschaft. Fast die Hälfte der bekannten Fundstücke wurde erst in den letzten 30 Jahren gefunden.

Jean-Jacques Hublin ist einer der renommiertesten Vertreter seiner Zunft. Er hat seine französische Heimat verlassen, um in Leipzig die Entwicklung des Menschen zu erforschen.

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Jean-Jacques Hublin, Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig:

„Hier am Institut gibt es Menschen, die experimentelle Psychologie machen, Genetik oder Linguistik. Manche studieren lebende Primaten. Meine Abteilung studiert die historische Evolution der Menschheit. Und es ist die Interaktion der verschiedensten Forschungsfelder, die zu neuen Ansätzen und neuen Fragen führt. Unsere Frage lautet: Was unterscheidet uns Menschen von anderen Hominiden?“

Der Neandertaler steht uns noch näher als der Affe
Der Neandertaler stand uns genetisch so nahe wie keine andere Menschenform. Und doch war er im biologischen Sinne kein moderner Mensch. Heute ist unser nächster lebender Verwandte ein Affe: der Schimpanse.

Zwischen Schimpansen und Menschen liegen sechs Millionen Jahre Entwicklung. Der Neandertaler trat erst vor etwa 500.000 Jahren auf die Bühne. 98,8% der Gene von Schimpansen und modernen Menschen sind identisch. Macht ihn das zum Menschen? Der Neandertaler steht uns noch näher als der Affe. Ist er deshalb ein Mensch?

Es ist verführerisch, sich den Neandertaler als modernen Menschen zu denken. Trotz aller biologischen Unterschiede. Jean-Jacques Hublin ist diesen Unterschieden auf der Spur. Mit Röntgenstrahlen, die zehnmal stärker sind als im Krankenhaus, arbeiten sich die Wissenschaftler immer tiefer in die Knochenschichten vor.

Jean-Jacques Hublin, Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig:

„Dadurch wird es sogar möglich, interne Strukturen zu erforschen, wie z.B. die Struktur der Hirnschale von Innen, die durch bloßen Augenschein sonst nicht sichtbar sind. Wir nutzen diese Modelle aber auch, um individuelle oder evolutionäre Entwicklung zu simulieren.“

Erstaunliche Entdeckungen

Die Simulation des Geburtskanals im Becken einer Neandertalerfrau erbrachte ein erstaunliches Ergebnis: Während sich bei der menschlichen Geburt der relativ große Kopf des Babys im Geburtskanal drehen muss, geht der Kopf des Neandertaler-Babys wie bei Menschenaffen den direkten Weg aus dem Geburtskanal heraus. Ist der Neandertaler also doch mehr Affe als Mensch?

Eine der erstaunlichsten Entdeckungen machte Hublin allerdings vor kurzem mit dem Zahn eines Neandertalers. Wie bei uns Menschen sind auch beim Neandertaler alle Zähne schon vor der Geburt im Kiefer eingelagert. Die Durchleuchtung des Zahns mit dem Hochenergiestrahl eines Teilchen-Beschleunigers ließ Bilder mit einer bis dato unerreichten Auflösung entstehen. Tief im Innern der Zahnkrone stießen die Wissenschaftler auf Zahnringe, die – ähnlich wie bei Baumringen – eine genaue Datierung zulassen.

Früher wurde ein Fossil nur allgemein beschrieben und klassifiziert – so wie bei einer Briefmarkensammlung. Heute können durch die punktgenaue Isotopenanalyse sogar Aussagen zur individuellen Entwicklung des Urmenschen gemacht werden. Diese neue Methode erlaubt es uns, das tatsächliche Alter jedes Individuums zu datieren.

Im Labor lassen sich durch Isotopen-Messungen aus Zahn- oder Knochenmaterial Rückschlüsse auf die Nahrung und vor allem die Wanderbewegungen von Neandertaler-Horden ziehen. Denn jeder Schluck Wasser, den wir trinken, jede Nahrung, die wir zu uns nehmen, hinterlässt eine charakteristische Spur, die sich auch geographisch zuordnen lässt. Die Frage, wo sich ein Neandertaler während seines Lebens in Europa aufgehalten hat, lässt sich also auch schon beantworten.

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Die Gene geben Antworten

Noch tiefere Einblicke in die Evolution unserer Spezies und unseres ausgestorbenen Cousins erhoffen sich Wissenschaftler durch die Erforschung der Gene des Neandertalers. Der Paläogenetiker Adrian Briggs arbeitet an der Entschlüsselung des gesamten Erbgutes unseres Verwandten.

Das „Neandertal Genome Project“ soll dabei helfen, viele offene Fragen zu lösen. Lange galt eine Entzifferung des Neandertaler Genoms als unmöglich. Denn nach dem Tod eines Lebewesens zerfällt der DNA-Strang der Doppelhelix in immer kleinere Bruchstücke. Zur DNA-Extraktion muss das fein gemahlene Knochenmaterial in einem ersten Schritt aufgelöst werden.

Kontaminierte DNA

Zwar wird die aufgelöste DNA immer feiner gefiltert, bis nur noch Erbmoleküle übrig bleiben. Doch die Probleme, aus der resultierenden Buchstabensuppe den Roman des Neandertaler-Lebens zu lesen, schienen einfach unüberwindlich.

Die Zeit verändert die Erbmoleküle. Und Bodenbakterien oder Pilze hinterlassen ebenfalls ihre DNA-Spuren in den Knochen. Die Proben sind mit fremder DNA kontaminiert. Was ist nun Neandertaler-DNA und was nicht? Aus Millionen prähistorischer DNA-Fragmente müssen die Paläogenetiker brauchbare Informationen herauslesen. Die Entschlüsselung des Mammut-Genoms vor ein paar Jahren lieferte wichtige Hinweise im Umgang mit sehr alten DNA Fragmenten.

Im Unterschied zum Neandertaler von dem nur Knochen übrig sind, wurden einige tote Mammuts im Permafrostboden Sibiriens mit Haut und Haaren hervorragend konserviert. Die Haare der Tiere bestehen aus Keratin, das die Jahrtausende alten DNA-Moleküle gut geschützt hat. Für die Paläo-Genetiker waren diese Haare eine Goldgrube: Die Möglichkeit, zum ersten Mal das Genom einer ausgestorbenen Spezies zu sequenzieren, und so dem Traum, sie wieder auferstehen zu lassen, einen entscheidenden Schritt näher zu kommen.

Zusammensetzung von DNA-Sequenzen

An der Penn State University in Pennsylvania hat eine Forschergruppe um den deutschen Genetiker Stephan Schuster Methoden entwickelt, auch kleinste DNA-Fragmente wieder zusammenzusetzen. Auch die Mammut-DNA ist im Lauf der Jahrtausende in zahllose Fragmente zerfallen. Die Wissenschaftler müssen die einzelnen DNA-Schnipsel mühsam sequenzieren.

In seinem Labor konnte Stephan Schuster schon zwischen 60.000 und 130.000 Jahre alte DNA isolieren und die Gensequenz auslesen. Um möglichst geringe Kontaminationsraten zu erreichen, bedient sich Schuster eines Tricks.

Stephan Schuster, Genetiker, Penn State University:

„Unsere Vorgehensweise besteht darin, dass wir das Haar erst shampoonieren und anschließend mit einer Bleiche behandeln. Das machen wir nicht, um den Mammut blond zu färben, sondern wir dekontaminieren das Äußere des Haares, entfernen, zerstören die Umwelt-DNA , die von den Bakterien stammt. Und erst danach, nachdem die Bleiche neutralisiert worden ist, lösen wir das Haar auf und sammeln die DNA, die innerhalb des Haares selbst und nicht in der Haarwurzel vorhanden ist, und können dann unsere Analysen darauf basieren.“

Am Erbgutraster des Elefanten ausgerichtet
Die eigentliche Innovation liegt darin, die Sequenzdaten mit dem bereits bekannten Genom eines noch lebenden nahen Verwandten des Mammuts – dem indischen Elefanten – zu vergleichen. Erst dieser Anhaltspunkt erlaubt es, die Fragmente zu einem kompletten Mammut-Genom zusammenzusetzen.

Wie bei einem Riesenpuzzle werden die DNA-Schnipsel des Mammut-Genoms im Computer am Erbgutraster des Elefanten ausgerichtet. In dieses Raster werden die DNA-Bruchstücke verschiedener Mammuts eingepasst, bis es schließlich die gesamten Erbinformationen enthält. So lassen sich etwa vier Millionen Unterschiede im Erbgut zwischen Elefanten und Mammuts erkennen.

Stephan Schuster, Genetiker, Penn State University:

„Das Mammut-Genom war zu unserem Schrecken ungefähr 50% größer als das eines Menschen. Und insofern ist es wesentlich aufwändiger, teuerer dieses Genom bis zur Gesamtheit zu sequenzieren. Aber aufgrund der immer neuer Sequenziermethoden und auch dem Preisgefälle in der Durchführung solcher Studien, ist es uns nun möglich, das Mammutgenom in seiner Gesamtheit und auch mit einer sehr großen Datensicherheit zu sequenzieren.“

Tatort El Sidrón, Tatzeit Steinzeit

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Vom Neandertaler wurden bis heute nur Knochen und keine Haare gefunden. Und die meisten Fundstücke sind bereits mit der DNA der Archäologen kontaminiert, die sie ausgegraben haben. Aus diesem Grund hat die Forschergruppe um Antonio Rosas eine neuartige Methode entwickelt.

Die Bergung von Knochen für DNA Analysen wirkt wie eine „Crime Scene Investigation“. El Sidrón ist ein Tatort aus der Steinzeit und die Wissenschaftler sind Paläo-Forensiker. Peinlichst genau achten die Ausgräber darauf, den Kontakt mit den Zeugen der Vergangenheit zu vermeiden, um die alte Erbsubstanz nicht mit ihren eigenen DNA-Spuren zu verunreinigen

Menschliches Erbgut als Referenz

Von allen Mitarbeitern werden DNA-Proben genommen, um eventuelle Verunreinigungen später identifizieren zu können. Sofort nach der Bergung werden die Knochen tiefgefroren und abtransportiert. Die Neandertaler-DNA ist trotzdem noch fragmentiert, unvollständig und durch Bakterien-DNA verunreinigt. Diese muss identifiziert und eliminiert werden. Um dann ein vollständiges Neandertal-Genom zu bekommen, wird es auch am Erbgutraster eines nahen Verwandten ausgerichtet. Diesmal diente das menschliche Erbgut als Referenz.

Adrian Briggs und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut in Leipzig mussten Milliarden DNA-Fragmente des Neandertalers mehrfach sequenzieren. Um wirklich sicher zu gehen, dass die Neandertaler-Erbinformationen vollständig sind, nutzten die Wissenschaftler sogar das Äquivalent der Genome von 20 verschiedenen Neandertalern. Die ersten Ergebnisse aus dem Vergleich der Erbinformationen des Menschen und der des Neandertalers liegen nun vor.

Adrian Briggs, Paläogenetiker, Leipzig:

„Wir haben herausgefunden, dass Neandertaler und wir uns genetisch zu 99,5 Prozent ähneln. Fast das gesamte Genom ist also gleich. Doch einige Unterschiede sind sehr interessant. Man kann diese Unterschiede auf eine Zeitskala setzen und berechnen, wann sich Neandertaler und moderne Menschen genetisch getrennt haben. Und wir schätzen, dass dieser Zeitpunkt etwa 300.000 bis 350.000 Jahre zurückliegt.“

Evolutionär ist das ein Wimpernschlag. Und: Neben genetischen Hinweisen, dass der Neandertaler sprechen konnte, war der erste Europäer wohl eher hellhäutig, mit Sommersprossen und der Anlage für eine rote Körperbehaarung.

Schlechtere Anpassungsfähigkeit

Ein weiteres Ergebnis: Die genetische Bandbreite der Neandertaler war wesentlich kleiner als die des heutigen Menschen. Aus diesem Grund konnte sich der Neandertaler veränderten Umweltbedingungen – wie sie etwa das Auftauchen unserer Spezies in Europa vor 50.000 Jahren darstellte – schlechter anpassen. Liegt hier die Antwort auf die Frage, warum wir überlebt haben und der Neandertaler ausgestorben ist?

Jean-Jacques Hublin, Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig:

„Unsere Spezies breitete sich aus Afrika kommend aus. Und wann immer wir auf der Welt mit anderen Menschenarten koexistierten, haben wir diese ersetzt. Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass unsere Spezies die Natur in ganz besonderer Weise ausbeutet. Heute machen wir uns Sorgen über die Umweltzerstörung, über das Massenaussterben und wir denken, dass dies gerade mal seit 100 Jahren passiert. Dabei begann das alles schon vor etwa 50.000 Jahren.

Wir sind die einzige Spezies, die erwiesenermaßen viele andere Säugetierarten ausgerottet hat. Und das schließt die Frühmenschen mit ein. Wann immer unsere Vorfahren auf andern Jäger und Sammlerpopulationen trafen, haben wir sie beim Kampf um Naturressourcen übertrumpft. Der moderne Mensch war dem Neandertaler technologisch überlegen.“

Synthetische Biologie

Heute sind wir sogar in der Lage, Leben im Labor neu zu erschaffen – auch längst ausgestorbenes Leben. Stephan Schuster von der Penn State University denkt jedenfalls schon daran, einen Zeitgenossen des Neandertalers, das Mammut wiederauferstehen zu lassen.

Wir sind heute in der Lage, gezielt in die Erbinformationen einzugreifen und einzelne Buchstaben im genetischen Code auszuwechseln. Wir können also theoretisch die embryonalen Stammzellen eines heute lebenden Elefanten nach und nach in die eines längst ausgestorbenen Mammuts verwandeln.

Vier Millionen Änderungen sind zwar technisch sehr aufwändig, aber möglich. Die Mammutstammzelle würde zum Embryo herangezüchtet und schließlich von einer Elefantenleihmutter ausgetragen. So die Theorie.

Erschaffung neuen Lebens

Boston, Massachusetts. Die amerikanische Forschungsmetropole mit Spitzenuniversitäten wie der Harvard Medical School und dem Massachusetts Institute of Technology ist ein Zentrum der synthetischen oder künstlichen Biologie. Hier wird an der Erschaffung neuen Lebens geforscht.

Der Mann, der eine Elefantenstammzelle in die eines Mammuts umwandeln könnte, ist George Church von der Harvard University. Der bekannte Gen-Technologe hat eine neue Technik entwickelt, mit der man Hunderte DNA-Veränderungen in einem Gen-Strang gleichzeitig durchführen kann.

Trotzdem liegen die Kosten für ein solches „Downgrade“ einer Elefantenstammzelle immer noch bei etwa 10 Millionen Dollar. Das wird billiger werden. Church weiß, dass sich die Leistungsfähigkeit der synthetischen Biologie schon heute viel rasanter entwickelt als die Leistung von Computerchips.

Gene in einer lebenden Zelle verändern

Ingenieure und Genetiker entwickeln im Labor von George Church zusammen die Prototypen neuer Gen-Synthesizer. Mit diesen Geräten können die Molekularbiologen in bisher nie gekannten Ausmaßen die Gene in einer lebenden Zelle verändern. Sollte es gelingen Schritt für Schritt eine Mammutstammzelle zu bauen, wäre das Gleiche auch für den Neandertaler denkbar. Liefert also das entschlüsselte Neandertal-Genom die Grundlage für eine Auferstehung des Neandertalers, so wie es für das Mammut schon heute möglich erscheint?

Stephan Schuster, Genetiker, Penn State University:

„Ich denke. das ist eine der wichtigsten Fragen, die man in diesem Umfeld stellen muss, weil es gibt ganz klar ethische Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. In dem Fall mit dem Neandertaler muss man sofort die Frage stellen, wer, bitte schön, wäre denn die Leihmutter? Was passiert, wenn diese Experimente nicht gehen wie gewünscht? Und ich denke, es sind zwei verschiedene Dinge, ein Farmtier, eine Ziege, ein Schaaf, eine Kuh zu klonieren oder mit einer Menschenspezies zu experimentieren. Und ich denke, dass die ethischen Richtlinien, denen wir alle unterliegen, es nicht erlauben werden, solche Forschungen durchzuführen. Und das ist auch gut so.“

Für George Church von der Harvard University geht es in einem ersten Schritt noch nicht um die Wiederauferstehung eines Neandertaler-Individuums. Er denkt zunächst nur daran, die Zellen des Neandertalers wiederauferstehen zu lassen.

George Church, Gen-Technologe, Harvard University:

„Wir können und werden wahrscheinlich auch menschliche Stammzellen produzieren, die eine, oder zehn oder mehr Änderungen haben, die es uns erlauben werden, zu testen, wie Neandertaler wirklich waren. Man kann sie sich vorstellen wie die lebende Version eines Museumsstücks.

Es gibt Grenzen, was man durch das Betrachten von DNA-Sequenzen heraus bekommen kann. Wir können diese Zellen und alle möglichen Zwischenstufen zwischen Menschen und Neandertalern schon in den nächsten Jahren selbst herstellen – entweder auf der Zellebene oder sogar auf der Gewebeebene.“

Ethische Vertretbarkeit

Die Folgen der synthetischen Biologie müssen gesellschaftlich breit diskutiert werden. Doch weil sich kaum etwas so schnell ändert wie gesellschaftliche Normen, ist noch nicht abzusehen, wo die Geschichte enden wird. Was heute ethisch nicht vertretbar ist, mag morgen Normalität sein. Schimpansen sind auch eng mit uns Menschen verwandt. Menschenrechte besitzen sie deshalb noch nicht. Wäre es vielleicht möglich, ein Neandertalbaby von einer Schimpansen-Leihmutter austragen zu lassen

George Church, Gen-Technologe, Harvard University:

„Neandertaler könnten so wie wir sein und sich uns gegenüber verhalten, so wie wir es auch untereinander tun. Wir wissen nicht, wie sich das entwickeln könnte. Es ist wie bei einem Neugeborenen: In Bezug auf Gut und Böse, weiß man nicht, wie sich das Baby entwickeln wird. Aber man steckt große Hoffnungen in es.“

Warum sollten wir ein ausgestorbenes Wesen zurück ins Leben holen? Weil es möglich ist? Um mit einer anderen Intelligenz zu kommunizieren, die uns fremd ist und doch nahe steht? Und schließlich: Würden wir den Neandertaler in den Zoo stecken, oder in ein Untersuchungslabor? Das alles ist Zukunftsmusik. Aber es besteht die Möglichkeit, dass wir uns in nicht allzu ferner Zeit mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen.

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