Kalisalz – Der Boom des weißen Goldes
Das Kaliwerk im Werratal erstreckt sich untertage auf einer Fläche, die so groß ist wie München. Das „weiße Gold“ wird mit riesigen Baggern gefördert. Circa 70.000 Tonnen Kalisalz werden im BergwerkWerra pro Tag abgesprengt. Zwar spürt die Kaliindustrie die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, dochder Bedarf bleibt enorm.
Kalisalzförderung – Verfahren, Probleme und Lösungen
Das Kaliwerk Wintershall an der Werra: Hier wird das im Steinsalz eingeschlossene Kali-Mineral gewonnen – der ideale Rohstoff für Dünger, gerade auf ausgelaugten Böden.
Rückstände eines Binnenmeeres
Die Produktion des begehrten Rohstoffs ist enorm aufwändig. Die Stollen erstrecken sich über 600 km2, das entspricht der Größe des gesamten Stadtgebietes von München.
Es ist eine Unterwelt, die vor 250 Millionen Jahren ein Ur-Meer war. Meerwasser enthält viele Salze – darunter Kali. Vor Millionen Jahren brachte die Sonne das Wasser des Binnen-Meeres zwischen dem heutigen Hessen und Thüringen zum verdampfen.
Eine hoch konzentrierte Salzlösung blieb zurück. Entsprechend ihrer Löslichkeit setzten sich verschiedene Salzarten nacheinander auf dem Meeresboden ab. Je mehr Wasser verdunstete, desto konzentrierter wurde die Salzlösung – bis schließlich die leicht löslichen Kali-Salze ausfielen.
Über den Salzflözen lagerten sich im Laufe der Jahrmillionen dicke Gesteinsschichten ab. Wo so genannte Verwerfungsspalten entstanden, quollen die Salzgesteine wie eine zähe Flüssigkeit wieder nach oben. Was früher fein säuberlich geschichtet war, ist jetzt zusammengefaltet wie ein zerknülltes Tuch. Diese Salzlagerstätten werden seit über 100 Jahren abgebaut.
Das Kalirevier in Mitteldeutschland erstreckt sich über ein Gebiet von mehr als 1000 km2. Vor einigen Jahrzehnten wurden Salzbergwerke eher geschlossen als ausgebaut. Heute werden stillgelegte Bergwerke wieder reaktiviert. Denn Salz ist fast wieder so wertvoll wie im Mittelalter.
Kalisalz – gefragtes Gut aus Deutschland
Über sechs Milliarden Menschen leben auf der Erde. 2050 werden es wohl neun Milliarden sein. Die wollen ernährt werden. Doch weltweit schrumpfen die Anbauflächen.
Allein in China, das fast ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren muss, sind in den letzten zehn Jahren ca. sieben Prozent des Agrarlandes verschwunden.
Kali-Dünger für eine effiziente Landwirtschaft
Um die explosionsartig wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, bedarf es effizienter Landwirtschaft. Und die benötigt Düngemittel. Kali-Dünger kann ausgelaugte Böden wieder ertragreich machen.
Auch der weltweit steigende Fleischbedarf feuert die Nachfrage an. Die Rechnung ist einfach: Für ein Kilo Fleisch benötigt man ca. 5 Kilo Getreide als Futtermittel. Und Getreide ist in der globalisierten Welt knapp geworden. Soll mehr Fleisch auf den Teller, muss mehr Kali-Dünger eingesetzt werden.
Kalium ist eines der wichtigsten Elemente für den Stoffwechsel der Pflanzen. Das Mineral intensiviert die Photosynthese, verstärkt die Umwandlung von Zucker in Stärke und den Aufbau von Eiweiß – wichtige Faktoren für das Wachstum von Pflanzen.
Ein krisensicheres Geschäft
Etwa 12 % des weltweit gehandelten Kalidüngers stammt aus Deutschland. Doch selbst die riesigen heimischen Vorkommen können den weltweit wachsenden Bedarf nur für einige Jahrzehnte decken.
Kalisalze sind ein glänzendes Geschäft. Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich der Preis für eine Tonne losen Kalidünger auf dem Weltmarkt verdoppelt – auf etwa 600 Dollar. Die K+S Gruppe steigerte 2008 ihren Gewinn auf fast 1 Mrd. Euro.
Trotz Wirtschaftskrise, die Nachfrage ist da: So ist zum Beispiel China unterversorgt und benötigt 2010 bis zu drei Millionen Tonnen Kalidünger zusätzlich.
Das Mineral ist nicht nur als Dünger gefragt. Hochreines Kali etwa ist ein wichtiger Bestandteil von Infusionslösungen. Zudem ist Kalium ein begehrter Rohstoff für die Pharma- und Kosmetikindustrie.
Die Förderung erfordert Spezialwissen. Ziel ist es, so wenig „taubes“ – also kaliarmes – Gestein wie möglich aus dem Berg holen. Der Kaligehalt ist also die entscheidende Größe.
Prickelnder Wertstoff
Heute wird er durch eine Isotopenmessung in Sekunden bestimmt.
Klaus Pietzko, Grubenkoordination:
„Das sind natürlich High-tech-Geräte, die gab’s früher nicht. Und unsere Vorfahren die haben es sich ganz einfach gemacht. Die haben so einen Brocken vom Stoß genommen, haben den an die Zunge gehalten. Und wenn es dann geprickelt hat, wusste man hier ist Wertstoff vorhanden, hier ist Lagerstätte. Und wenn es schnell gehen soll, macht man dass auch heute noch.“
Wie beim Öffnen einer Sprudelflasche
Bereits die Vorkehrungen für die Sprengung sind heikel. Vor über 70 Millionen Jahren wurde durch die Vulkanaktivität Kohlensäure im Gestein eingeschlossen. Das Gas steht unter hohem Druck und entweicht beim Anbohren explosionsartig – wie beim Öffnen einer Sprudelflasche.
Die Salzbrocken können zu gefährlichen Geschossen werden. Zwei Kilometer reichen die Erkundungsbohrungen in den Berg hinein. Die Bohrkerne werden später im Labor untersucht. So lassen sich CO2-Blasen orten und die Verläufe der Kali-Lagerstätten bestimmen.
Klaus Pietzko, Grubenkoordination:
„Wenn wir jetzt durch Bohrarbeit oder Sprengarbeit eine solche CO2-Blase anfahren, wird das CO2 freigesetzt. Das kann auch bei dieser Bohrung passieren und deswegen haben wir CO2 Sensoren, dass wir sofort reagieren können. Da steht ein Fluchtfahrzeug bereit, das die Leute sofort flüchten können.“
Der Bergmann entscheidet
Erst wenn die Lage geklärt ist, kommen die riesigen Bohrwagen zum Einsatz. Sie bohren die Sprenglöcher. Der Bergmann gibt die Art der Bohrungen vor und entscheidet so, wie gesprengt wird.
Sind die so genannten Führungsbohrungen gesetzt, bestimmt ein Computerprogramm den weiteren Bohrweg für die Sprenglöcher – vollautomatisch und präzise.
An einem virtuellen Bedienstand können angehende Bergleute das komplizierte Handling üben. Virtuelle Fehler können wieder korrigiert werden. Es kommt darauf an, genau dem Verlauf der Kalilagerstätte zu folgen und möglichst wenig Steinsalz mitzufördern. Die Ausbildung im Simulationslabor dient der effizienteren Förderung.
Abbau nach Plan
Die gesamte Grube steckt mitten in einem Salzflöz. Straßen, Wände, Deckengewölbe – alles besteht aus Salz. Der Abbau folgt einem genauen Plan, wie beim Bau eines Hauses.
Die Vermesser, Markscheider genannt, sind dafür verantwortlich, dass Stollen und Stützpfeiler genau da entstehen, wo sie sollen. Die Markscheider legen fest, in welche Richtung der Abbau vorgetrieben wird. Dazu müssen sie die Grube im Salzstock genau ausmessen.
Sicherheit hat ihren Preis
Mit Lasern wird die Größe jedes einzelnen Stützpfeilers in drei Dimensionen vermessen. Die richtige Größe der Pfeiler ist entscheidend für die Sicherheit. Diese Sicherheit hat ihren Preis. In einer Tiefe von über 850 m haben die Schächte eine Breite von 15 Metern.
Die Pfeiler, die das Deckgebirge abstützen, müssen mindestens 45 Meter breit sein. Das bedeutet weniger Ertrag: Denn 60 Prozent des Kalis steckt in den Pfeilern und ist verloren. Die Vergangenheit zeigt, warum dieses Prinzip so wichtig ist:
Vorsätzliche Unterdimensionierung
1989 stürzten 3200 Pfeiler des Kalibergwerkes in Völkershausen ein. Eine Fläche von sieben Quadratkilometern sackt zusammen. Mit einer Stärke von 5,6 auf der Richterskala ist der Gebirgsschlag einer der größten von Menschenhand gemachten Erdbeben.
Der Hintergrund: um die Rohsalzausbeute zu maximieren, sind die Stützpfeiler zu DDR-Zeiten nur 31 m breit. „Vorsätzliche Unterdimensionierung“ nannte man das. Kali war der DDR Devisenbringer. Bis heute werden in Völkershausen die einsturzgefährdeten Strecken mit Millionen Tonnen Salzrückständen verfüllt. Die Kosten: über 270 Millionen Euro. Mittlerweile sind 45 m-Pfeiler Standard.
Computergenaue Zündung
Auch für die Sprengung spielt die Stabilität eine Rolle. Sind 60 Löcher gebohrt, werden sie mit Sprengstoff verfüllt und verkabelt. 450 Kilogramm Sprengstoff liefern rund 1000 Tonnen Salz. Um einen optimalen Ertrag zu erhalten, wird die Zündung computergenau gesteuert.
Erst wenn alle Bergarbeiter die Grube verlassen haben, können die Sprengungen ausgelöst werden – zentral in der Grubenwarte. Die Sprengladungen werden im Viertelsekundentakt gezündet, um das Nachrutschen des Salzes zu ermöglichen.
Durch die Detonationen lockert sich tonnenschweres Gestein. Regelmäßig kratzt deshalb eine Maschine lose Brocken von Decken und Wänden. Die Grubendecke wird zusätzlich durch Firstanker – eine Art überdimensionierte Spreizdübel – gesichert.
Problematische Trennverfahren
Das gewonnene Rohsalz besteht zu 70 Prozent aus Steinsalz und nur zu 30 Prozent aus wertvollem Kali. Es müssen nun die Bestandteile voneinander getrennt werden.
Das Heißlöseverfahren
Seit über 100 Jahren wird dazu das so genannte Heißlöseverfahren angewandt. Ein Verfahren, das viel Wasser verbraucht. Denn es macht sich zu Nutze, dass in Wasser gelöstes Kali- und Steinsalz bei unterschiedlichen Temperaturen auskristallisiert.
Die Methode ist problematisch. Denn bei einer Jahresförderung von 21 Millionen Tonnen Rohsalz, fallen 14 Millionen m3 Salzabwässer an. Beim Heißlöseverfahren wird das Rohsalz in großen Kesseln zunächst erhitzt. Dabei setzt sich das Steinsalz als Bodensatz ab. Wird die Salzlauge abgekühlt, flockt das begehrte Kalisalz aus.
Das Flotationsverfahren
Eine zweite Methode: das so genannte Flotationsverfahren. Auch diese Trenntechnik – bereits seit den 1950er Jahren angewandt – verbraucht viel Wasser und hinterlässt eine hoch konzentrierte Salzlauge. Eine spezielle Emulsion umhüllt in der Rohsalzlauge nur die begehrten Kalikristalle. Dadurch können Sauerstoffbläschen an ihnen haften. Ein Ventilator bläst stetig Luft in die Lauge und die Kalikristalle steigen mit den Luftbläschen an die Oberfläche. Dort werden sie als Kalischaum abgeschöpft. Auf riesigen Trockenstraßen wird das Kali abgeschieden und getrocknet. Die Produktionsabwässer, die dabei entstehen, werden erneut in den Kreislauf gegeben, um noch enthaltenes Kali auszuwaschen. „K+S“ hat ein weltweit einzigartiges elektrostatisches Trennverfahren entwickelt. Es ermöglicht eine trockene Trennung der Salze – bei der keine Abwasser anfallen.
Fall durch ein Hochspannungsfeld
Das Rohsalz wird elektrostatisch aufgeladen. Dabei bekommen Steinsalz und Kaliumsalz durch streng geheime chemische Zusätze unterschiedliche Ladungen. Die Mineralien werden durch ein Hochspannungsfeld in einen so genannten „Freifallscheider“ geführt. Dabei wird das Steinsalz vom Minuspol und das Kalisalz vom Pluspol angezogen. Erst bei der weiteren Verarbeitung wird wieder Wasser zugesetzt. Schließlich wird das Kalisalz auf riesigen Walzen getrocknet und in Granulationsanlagen zu kleinen Düngerkügelchen weiterverarbeitet.
Jost Götte leitet bei Wintershall die Produktionsanlagen. Auch er darf nichts über die chemischen Zusätze erzählen, die eine trockene Auftrennung der Salze ermöglichen – Betriebsgeheimnis. Die Firma „Kali + Salz“ verspricht sich viel von der ESTA-Methode, die sie – laut eigenen Angaben – weltweit exklusiv beherrscht.
Abwasservermeidung
Jost Götte, Kali + Salz:
„Wir haben durch die ESTA Verfahren zwei ganz gravierende Vorteile. Das eine ist Energiesparen und das Zweite ist Abwasserreduzierung. Es ist so, dass wir wenn wir Steinsalz jetzt zur Halde bringen, wir pro Tonne Steinsalz, die wir hier hochbringen, etwa 4 m3 Abwasser vermeiden können.“
Doch auch ESTA kann die Umweltproblematik nicht lösen – das „trockene“ Verfahren ist noch nicht so effizient wie herkömmliche Methoden. Noch immer werden daher pro Jahr 14 Millionen m3 salzhaltige Lauge entsorgt werden. Die Hälfte davon geht als Einleitung in die Werra.
Die automatische Einleitungskontrolle soll sicherstellen, dass der gültige Grenzwert von 2500 Milligramm Chlorid pro Liter nicht überschritten wird.
Die Umweltproblematik
Selbst das beste Recycling kann nicht verhindern, dass neben 14 Millionen m3 Salzabwässern zusätzlich pro Jahr etwa 17 Millionen Tonnen feste Rückstände anfallen. Rückstände die seit über 100 Jahren die Umwelt an der Werra stark belasten. Die Hälfte der Abwässer geht völlig legal in den Fluss. Die festen Salzrückstände werden einfach hinter dem Werk Wintershall aufgehaldet.
Der Regen wird 1000 Jahre brauchen
Der weiße Salzberg an der hessisch-thüringischen Grenze ist 150 Millionen Tonnen schwer und 200 Meter hoch. Täglich wächst er um etwa 20.000 Tonnen. Die Behörden haben ein weiteres Anwachsen auf das fast doppelte Volumen genehmigt. Der Regen wird 1000 Jahre brauchen, bis er die Abraumhalde weggespült hat. Und mit jedem Regenschauer werden Salzabwässer in den Untergrund geschwemmt.
Der Boom des weißen Goldes ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits steigert Kali die landwirtschaftlichen Erträge. Andererseits ist die Produktion des Salzes eine massive Umweltbelastung.
Salzwasserkrebse in der Werra
Walter Hötzel, Vorsitzender der Interessensgemeinschaft der Werra-Weser-Anrainerkonferenz und der Gewässerökologe Ulrich Braukmann untersuchen die Auswirkungen der Kalisalzförderung auf die Umwelt. Sie entnehmen Wasserproben aus der Werra.
Ulrich Braukmann:
„Also wir sehen jetzt hier in dieser Probe eigentlich nur eine Art. Das ist ein Salzwasserverträglicher kleiner Krebs, der heißt der getigerte Flohkrebs Gamerus Tigrinus, der originär im Brackwasser an der Meeresküste lebt und sich hier in diesen Verhältnissen aber sehr wohl fühlt. Er hat keine Konkurrenten, er ist so zusagen allein auf weiter Flur und kann aus dem Vollen schöpfen, weil alle anderen Tiere hier an dieser sehr stark salzigen Stelle an der Werra keine Chance haben wegen der doch immer noch zwar erlaubten, aber sehr hohen Salzkonzentration.“
Salzwasserkrebse im Süßwasserfluss! Oberhalb der Abwässereinleitung aus der Kali-Industrie ist die Werra ein normales, lebendiges Gewässer. Unterhalb ist sie ökologisch fast tot. Die Werra ist der am stärksten mit Salz belastete Fluss Deutschlands.
Der Grenzwert existiert schon seit 1942
Seit über 100 Jahren wird in der Region Kali abgebaut. Doch noch immer liegt die Produktionseffizienz bei nur knapp 40 Prozent. Die Wertstoffe, die auf die Halde und in die Abwässer gelangen, beziffern Umweltschützer auf zwei Millionen Tonnen pro Jahr.
Das nächste Problem: Der Grenzwert existiert schon seit 1942. Die Werra fließt in die Weser. Und damals sollte gewährleistet werden, dass die Bürger von Bremen Trinkwasser aus der Weser gewinnen können.
Walter Hötzel:
„Es gibt immer noch den Grenzwert von 2500 Milligramm Chlorid pro Liter. Das ist ein Krisen – und kriegsbedingter Grenzwert. Der ist viel zu hoch und der ist so nicht akzeptabel. Und es ist auch nicht mehr Stand der Technik solche hohen Grenzwerte zu genehmigen.“